23.05.: Ein trauriges Kapitel der Landesgeschichte

Wir haben uns an diesem Tag Zeit genommen, uns ein wenig mit der kürzlichst vergangenen Landesgeschichte auseinanderzusetzen. Da war diese Kommunistengang „Rote Khmer“ oder „Khmer rouge“, die sich überlegt haben, einen kommunistischen Bauernstaat zu schaffen. Es sollten alle Bauern werden. Und die Intellektuellen wurden umgebracht. So einfach ist das. Gemäß einem Leitspruch „Wenn man Unkraut jäten will, muss man es an der Wurzel entfernen“, hat die Organisation nicht nur die Intellektuellen umgebracht, sondern gleich deren ganze Familie.
Eine weitere Leitparole war:
„Lieber versehentlich einen Unschuldigen töten, als versehentlich einen Feind am leben lassen“.
So starben in deren Regentschaft von 1975-1978 zwischen 1,4 – 3,0 Millionen Menschen; sie wurden getötet, sind verhungert oder an Erschöpfung gestorben. Die ungenauen Angaben rühren daher, dass noch nicht alle Killing fields gefunden und exhumiert sind oder daher, dass einige die Hungertoten mit den tatsächlich Getöteten zusammenzählen wurden oder halt nicht.
Wenn man mal von ca. 3 Jahren Rote Khmer und 3,0 Millionen Toten ausgeht, heißt das, dass pro Jahr 1 Million Menschen gestorben sind. Das heißt, pro Tag sind ca. 2739 Menschen gestorben. Pro Tag! Völlig verrückt. Neben dieser Schweinerei, überhaupt Menschen zu töten, steht da natürlich auch ein riesengroßer logistischer Aufwand. Die mussten ja alle von A nach B gekarrt werden, dann getötet und dann noch verbuddelt. Verrückt.

Die Khmer Rouge unter dem Anführer Pol Pot hat sich doch tatsächlich überlegt, die komplette geistige Elite des Landes zu eliminieren. Was für ein dummer Gedanke. Dabei sind natürlich tausende Menschen unter anderem aufgrund medizinischer Missstände auf dem Weg geblieben, weil Ärzte zu den zuerst ermordeten zählten. Bücher wurden verbrannt, Geld wurde abgeschafft. Händler, Lehrer, Mönche und beinahe die gesamte geistige Elite fielen der Massensäuberung zum Opfer. Die Menschen, die übrig geblieben sind, konnten teilweise nicht mal rechnen oder schreiben. Wer aus Versehen zu gut denken konnte, wurde ermordet. Ja, aber mit welchem Ziel denn? Des weiteren wurden alle Menschen in ganz Kambodscha aus den Großstädten vertreibt und quer durch das Land umgesiedelt; und wenn‘s dann noch nicht passt, werden die Menschen halt gleich noch mal umgesiedelt, nur, damit sein Agrarkommunismus gelingt.

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Zu diesem Thema haben wir uns zwei Locations angesehen. Das eine waren die Killing Fields nahe Phnom Penh. Dort wurden Menschen in Scharen hintransportiert, um getötet zu werden. Gas oder Pistolenkugeln waren zu teuer, deswegen wurden Schlagwerkzeuge aller Art (Schaufel, Beil, Metallrohr, Stock,…) als Waffe benutzt, um den Menschen die Schädel einzuschlagen. Anschließend wurde mit einem sehr scharfkantigen Blatt der Zuckerpalme deren Kehle durchgeschnitten, um sicherzugehen, dass sie tot sind. Kleinkinder wurden der einfachheitshalber mit dem Kopf gegen einen Baum geschlagen. Diese ganzen Informationen konnten wir durch eine sehr gute Audio-Tour bekommen. Gespickt mit Musikeinspielungen und Berichten von Überlebenden wurde dort ein Rundweg bereitet, bei dem man seine Gedanken schweifen lassen und das Gehörte verarbeiten konnte. An den Gräbern und an dem Killing tree haben Menschen (wahrscheinlich viele Traveller) Freundschaftsbändchen an den Baum oder an den Zaun gebunden. Was für eine schöne Geste.

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Längst sind noch nicht alle Gräber vollständig exhumiert.

 

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In der großen Pagode werden Schädel und andere große Knochen aufbewahrt. Sie sind nach Alter der Ermordeten sortiert und katalogisiert.

 

Viel verstörender war das S21, früher eine Schule, dann ein Gefängnis, heute das Genozidmuseum. Dort wurden Menschen aller Art (erst vermeintliche Gegner der Organisation, später auch Genossen, die sich verdächtig benommen haben) gefangen gehalten und so lange gefoltert, bis sie gestanden haben, dass sie etwas Böses getan haben. Das Blöde ist nur, dass die Gefangenen teilweise überhaupt nichts getan hatten. Sie wurden trotzdem so lange gefoltert, bis sie gestanden haben. Ein bisschen so wie bei einer Hexenverbrennung. Wenn sie dann gestanden hatten, wurden sie getötet – diesmal aus gutem Grund, sie hatten ja schließlich ein Verbrechen gestanden, welches in den Akten vermerkt werden konnte.
Wenn jemand zu schwach zum Gestehen war, wurde er wieder aufgepäppelt, damit er gestehen konnte, um getötet zu werden. Dafür wurde ein Arzt gerufen. Einen Arzt? Die haben doch alle Intellektuellen umgebracht?! – Diese „Ärzte“ haben eine 3-monatige Grundausbildung bekommen, in der sie gelernt haben, Spritzen in Kissen zu stecken. Diese Aufpäppelungsspritzen bestanden aus Essig, Mehl und noch irgendwas. Und damit wurden sie auf die Gefangenen losgelassen. Und hier beißt sich die Kuh in den Schwanz.
1. Warum päppelt man Leute auf, um sie danach zu töten?
2. Warum bringt man die Ärzte um, um danach neue auszubilden?
3. Warum überhaupt?

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In diesem alten Schulgebäude wurden die Klassenzimmer etwas umstrukturiert. Es wurden hölzerne oder steinerne Wände zu Einzelzellen gezogen. Es wurden Haken in den Boden eingelassen, um dort Menschen anzuketten und die durchlaufenden Balkone vor den Klassenzimmern wurden mit Stacheldraht versehen, weil sich irgendwann mal jemand aus dem dritten Stock in den Tod gestürzt hatet. So weit käme das noch. Selbstmord wurde nicht geduldet. Erst musste ein Verbrechen gestanden werden, damit man sterben durfte.
Nur die Spielgeräte im Innenhof zeugen noch von dem ehemaligen Pausenspaß. Weswegen auch immer haben die Roten Khmer diese stehen lassen.

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In der einen Ecke sitzt ein alter grauhaariger Mann. Es ist Chum Mey, ein Überlebender. Er verkauft Bücher mit seiner Lebensgeschichte, die in 6 Sprachen übersetzt worden ist. Neben diesen hunderten Fotos mit Gesichtern der Menschen, die in dieses Gefängnis gekommen sind, ist dieser lebende Mensch tatsächlich eine emotioinale Herausforderung. Da sitzt er nun, der Zeitzeuge, und strahlt glücklich, dass er mit den Besuchern aus aller Welt ein Stück Geschichte teilen kann. Und da stehen all diese Besucher mit den Audiotourkopfhörern auf den Ohren und hören sich in ihrer Landessprache seine Zeitzeugengeschichte an. Die Besucher gucken betroffen durch die Gegend, er strahlt. Verkehrte Welt. Danke alter Mann. Danke, dass du deine Geschichte mit uns geteilt hast.

Irgendwie will mir diese ganze Klassenkampfgeschichte nicht einleuchten. Irgendwie habe ich da noch keine erkennbare Ideologie gefunden. Keinen Sinn.

Das Brisante ist, dass Pol Pot als Bestrafung Hausarrest bekommen hat und bis zu seinem natürlichen Tod irgendwo im Wald mit seinen Kindern und Enkelkindern gelebt hat. Andere Khmer Rouge aus der Führungsebene haben erst weit in den 2000ern einen Prozess bekommen. Das sind mehr als 30 Jahre später. Für mich unverständlich.